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„Begegnung mit 3 Generationen russlanddeutscher Autoren“

Fotos @ Horst Martens

Bericht über die Lesung am 22. November 2015 auf der Buchmesse Migration im Haus der Geschichte in Bonn

von Agnes Gossen-Giesbrecht

Mit etwa drei Millionen sind die Deutschen aus der ehemaligen Sowjetunion derzeit eine der größten Einwanderungsgruppe in Deutschland. Die überwiegende Mehrheit der Russlanddeutschen (ca. zwei Millionen) ist in den 1990er bis in die 2000er Jahren in das Land ihrer Vorfahren gekommen und hat viel kreatives Potenzial mitgebracht.

Für zahlreiche Russlanddeutsche und deutsche Autoren aus Russland wurde das Haus der Geschichte in Bonn zum Magnet: Dort präsentierten 8 von ihnen am 22. November bei einer Lesung „Begegnung mit drei Generationen der deutschen Autoren aus Russland“ ihre aktuellen Werke. Die Lesung fand im Rahmen der Buchmesse Migration unter dem Motto „GrenzenLos – Vielfalt leben“ in Bonn im Haus der Geschichte statt.

Der Literaturkreis wurde in Bonn als eine kleine Gruppe von 14 Autoren vor 20 Jahren gegründet, ist also genau so alt wie die Buchmesse in Bonn, die einmal in zwei Jahren stattfindet und in diesem Jahr das zehnte Mal ausgerufen wurde. Beide sind in diesen Jahren gewachsen und haben sich weiter entwickelt. So umfasst der Literaturkreis die Mehrheit in Deutschland lebenden Autoren und in diesem Jahr waren im Haus der Geschichte auf der Buchmesse Migration mehr Verlage als jemals mit ihren Bücherständen vertreten.

Einer von ihnen war der Geest-Verlag, dessen Leiter Alfred Büngen, der seit Jahren die russlanddeutschen Autoren tatkräftig auf ihren Autorenseminaren und von ihm organisierten Lesungen unterstützte, mehrere deutsche Almanache des Literaturkreises veröffentlichte sowie auch Bücher von 9 Autoren. Fast nebenan beim Geest-Verlag betreute Agnes Gossen vor 12 Jahren drei Tage den Stand des Literaturkreises. Dort auf einer der ersten Buchmessen Migration in Bonn hatte sie den Leiter des Verlages Alfred Büngen kennengelernt hatte ihm ihre eigene Gedichte und die Manuskripte von ihr zusammengestellten Anthologien „Worüber man sich lustig macht“  und Kindheit in Russland“  überreicht, um sein Interesse zu russlanddeutschen Thematik zu weckten. Die Anthologie des Verstehens – so der Untertitel des Buches „Kindheit in Russland“ – erlebte schon zwei Auflagen und bald kommt die dritte.

Fast 100 Bücher von seinen Landsleuten hat der russlanddeutscher Verleger Robert Burau in seinem Verlag veröffentlicht, deshalb konnten Interessenten auf dem Büchertisch des Literaturkreises auch eine ganz breite thematische Vielfalt in von ihm veröffentlichten Büchern entdecken: von traurigen Erinnerungen und Lyrik bis zu Romanen, lustigen Sketschen und Kinderbüchern.

Während der am letzten Tag der Buchmesse stattgefundenen Lesung „Begegnung mit drei Generationen deutscher Autoren aus Russland“, die übrigens gut besucht war, traten stellvertretend für diesen Kreis acht Autoren und Musiker auf. Die Lesung begann mit einer Rückschau von Agnes Gossen-Giesbrecht über die Nachkriegsentwicklung der Literatur der Deutschen aus Russland, dessen besten Vertreter der älteren Generation zwar in den letzten 10 Jahren ins Jenseits gewechselt haben. Sie betonte, dass sie stolz sei, mehrere von ihnen hier in Deutschland kennengelernt zu haben und wie sie sich freute, als diese Autoren ihre Idee des Vereins tatkräftig unterstützt hatten und das Redaktionsteam des Vereins bildeten, dank dem der Literaturkreis über 20 Almanache veröffentlichen könnte.

Die Literatur spielte immer eine große Rolle in Verarbeitung historischer Ereignisse. Auch wenn sie zeitweilig mundtot gemacht wurde, wie es der ältesten Generation der russlanddeutschen Autoren während des zweiten Weltkrieges und danach für 13 weiteren Jahre in Verbannung wiederfuhr, bevor in Russland die ersten  Nachkriegszeitungen in Deutsch erlaubt wurden sowie erst in den 60er Jahren – der muttersprachlicher Deutschunterricht in den Siedlungen, wo die deutsche Bevölkerung mehrheitlich vertreten war. Die ältesten Mitglieder des Literaturkreises Johann Warkentin, Nora Pfeffer, Viktor Heinz, Wendelin Mangold und Nelly Kossko haben in Russland viel für den Erhalt der deutschen Sprache gemacht, an Instituten Deutsch unterrichtet, für Zeitungen geschrieben und damit später auch den Integrationsprozess ihrer Zöglinge in Deutschland erleichtert. Es betraf nicht nur ihre ehemalige Studenten, sondern auch die Autoren der mittleren Generation und die ganz jungen Schreibtalente, die von ihnen betreut wurden.

Der Literaturkreis hatte diese Stafette fortgesetzt und in den letzten 20 Jahren wesentlich zur Präsentation ihrer Volksgruppe und Verständigung mit den Bundesbürgern beigetragen.

In den letzten 10 Jahren waren Johann Warkentin, Nelli Kossko und Agnes Gossen-Giesbrecht mit Bundesverdienstorden für ihre Tätigkeit ausgezeichnet, Wendelin Mangold bekam den Hessischen Integrationspreis. Der Literaturkreis wurde 2014 mit dem Russlanddeutschen Kulturpreis (Förderpreis) des Landes Baden-Württemberg für die Förderung junger Autoren ausgezeichnet. Die russlanddeutschen Autoren haben auch einige Preise in verschiedenen literarischen Wettbewerben gewonnen wie in deutscher Sprache so auch in russischer. Sie beteiligten sich auch beim Wettbewerb der Buchmesse Migration und einige ihrer Texte erschienen unter den besten in der von den Organisatoren veröffentlichten Broschüre.

Zu Beginn der Lesung „Begegnung mit drei Generationen von russlandeutschen Autoren“ wurde Martin Thielmann eine Ehrenurkunde vom jetzigen Vorsitzenden des Literaturkreises Artur Böpple für seine langjährige Tätigkeit überreicht. Nelly Kossko überreichte Agnes Gossen, die als Mitbegründerin und erste Vorsitzende den Verein 12 Jahren ihn leitete, Blumen und würdigte ihre Aktivitäten, meinte sogar, dass ohne sie es den Literaturkreis nicht gegeben hätte. Martin Thielmann (Jg.1927, Autor von 5 Bücher) und Nelli Kossko (Jg. 1937, Autorin von einer Trilogie „Quadratur des Kreises“, von der sie 2000 Ex. verkauft hatte) gehörten zu den Mitbegründer des Literaturkreises. Beide wurden herzlich begrüßt von ihrer Fangemeinde bei der Lesung in Haus der Geschichte, freuten sich auf die gerade erschienen Memoire von Thielmann und eine Neuauflage der Trilogie von Nelly Kossko in einem Band, weil die alten Bücher schon vergriffen waren.

Sehr interessant war auch das Zwiegespräch zwischen Horst Martens, den Autor des Romans „Ruben“ und den Vorsitzenden des Vereins „Plautdietsch Frind“ Dr. Heinrich Siemens, der auch Verleger diese Romans ist. Die Eltern von Horst Martens, Deutsche aus Russland, waren nach Paraguay ausgewandert, wo er war geboren war, später in Berlin studierte und seit 18 Jahren lebt und arbeitet er in Deutschland. Sein 500 Seite starker Roman ist in diesem Jahr im „Tweeback“ Verlag von Heinrich Siemens erschienen und hat eine lebhafte Diskussion unter seinen Landsleuten entfacht. Er schildert in seinem Buch dem die Geschichte der Deutschen in Russland und Paraguay, gut recherchiert und in Romanform mit vielen Wendungen und Generation dargestellt. Heinrich Siemens unterstützt auch eine kleine Gruppe, die in Plattdeutsch Gedichte und Geschichten schreibt, und hatte vor einige Jahre ein Sammelband „Üt onsem Lewe“ und im vorigen Jahr auch eine Sonderausgabe der Vereinszeitschrift „Plautdietsch Frind“ über Plattdeutsche Weihnachten herausgebracht.

Die mittlere Generation der russlanddeutschen Autoren vertraten Horst Martens und Artur Böpple, der neue und sehr engagierte Vorsitzender des Literaturkreises und Herausgeber der letzten zwei deutsche Almanache des Vereins, den er präsentierte sowei Agnes Gossen-Giesbrecht, die ihre neue Gedichte vortrug aus den Lyrikbändchen „Grenzenlos“, das aus den besten Beiträgen des Wettbewerbes der Buchmesse besteht und speziell zu diesem Ereignis erschienen war.

Zu dieser Generation gehörte auch der Autor und Komponist Eduard Isaak aus Brühl, der einen wissenschaftlich und optisch sehr gut gemachtes  Liederbuch „ Es war einmal: Das Liedgut der Deutschen aus Russland“, das er zusammen mit Dr. Robert Korn herausgegeben hat, präsentierte  sowie seinen Kindermusical auf CD „Russland, ahoj!“, über die Übersiedelung der Deutschen nach Russland,  und einen humorvollen Auszug aus seinem zukünftigen Buch vortrug über seine Kindheit in Sibirien, an dem er gerade arbeitet.

Die drei junge Dichterinnen Anna Graf, Irina Malsam und Katharina Peters rundeten mit ihren thematisch sehr verschiedenen Gedichten das Bild und aktuellen Stand der russlanddeutschen Literatur ab.

Artur Haag, der Enkel von Martin Thielmann und Student der Universität in Koblenz sorgte für einen wunderschönen musikalischen Rahmen der Lesung mit dem sehr bekannten „Lyrischem Walzer“ von Schostakowitsch und Musik von Sviridov.

Es war eine sehr gelunge Lesung, zu der auch ein sehr gemischtes Publikum gekommen war, u.a. auch einheimische Freunde  der russlanddeutschen Autoren wie, zum Beispiel, der langjähriger Vorsitzender des Pfadfinder Vereins, der auch die Mitglieder des Literaturkreises Agnes Gossen, Helene Schröder und einige Male und besonders oft Martin Thielmann zum Lesen auf seinen Veranstaltungen einlud und diesmal auch selbst einen Auszug aus einer Geschichte des Autors über Weihnachten 1941 vortrug und sehr gute Worte zu seinem Wesen und Werke fand.

Nach der Lesung gingen die Gespräche mit den Autoren weiter am Bücherstand, den sie abwechselnd 3 Tage im Foyer des Hauses der Geschichte betreuten. Nebenan am runden Stehtisch lief die diesjährige Aktion der Buchmesse „die lebendige Bibliothek“: um Menschen unterschiedlicher Herkunft, Religion und Geschichte miteinander in Kontakt zu bringen, konnte man – symbolisch – ein Buch mit dem Autor zusammen „ausleihen“ und ihm eine Weile Fragen stellen und sich ein Bild vom Autor und sein Buch machen und darüber diskutieren, wo auch deutsche Autoren aus Russland gerne mitmachten.

(Hier veröffentlicht am 30.11.2015)