Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland
Sehr geehrte Damen und Herren,
Migration und Mobilität sind seit jeher ein Teil der Menschheits-Geschichte. Die Suche nach guten Weidegründen, der Wunsch nach wirtschaftlicher Verbesserung, die Sehnsucht nach einem Leben ohne Krieg oder Unterdrückung brachten und bringen Menschen auf der ganzen Erde immer wieder dazu, in die Fremde zu ziehen. Auch in den biblischen Erzählungen spielt Migration von Beginn an eine zentrale Rolle. Die Bibel lässt sich insgesamt als eine große Migrationsgeschichte lesen: vom verlorenen Garten Eden hin zum himmlischen Jerusalem: „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ (Hebr 13,14) Angefangen bei Adam und Eva, die sich nach ihrer Vertreibung eine neue Heimat suchen müssen, über die nomadischen Erzeltern Abraham, Sara und das wandernde Gottesvolk Israel bis hin zu Jesus, der schon als Säugling zum Flüchtling wird und zeitlebends umherzieht. Die Erfahrungen von Flucht und Fremdlingschaft sind elementarer Teil der Identität des Volkes Israels („Ihr seid selbst Fremde gewesen“ Lev 19,34). Ausgehend von der eigenen Exodusgeschichte hat der Schutz der Fremden in die biblische Rechtsprechung Einzug erhalten bis hinein in die Zehn Gebote.
Deutschland hat eine lange, bewegte Migrationsgeschichte. Carl Zuckmayer hat das mit Blick auf den Rhein als „Völkermühle Europas“ einmal schön beschrieben. Durch die Migrationsbewegungen der vergangenen Jahrzehnte ist Deutschland noch einmal verstärkt zum Einwanderungsland geworden, die gesellschaftliche Vielfalt in Deutschland hat sich weiter vergrößert. Den Gewinn dieser Vielfalt und die Gaben der „Anderen“ zu entdecken, ist eine gesellschaftliche Chance, zugleich stellt sich aber auch die Aufgabe, an gelungener Integration und einem sozialen Miteinander zu arbeiten. Vielfalt ist schön und bereichernd, aber sie kann auch anstrengen. Deswegen ist es wichtig, die gegebene Vielfalt zu erkunden und immer wieder Begegnungsräume zu schaffen, in denen Menschen gemeinsam an der Entfaltung des „Wirs“ arbeiten. Vor allem gilt es diese Vielfalt gegen jene zu verteidigen, die im Sinne rechtsnationaler, völkischer Ideologien die Vielfalt mit der Idee einer Re-Migration wieder umkehren wollen. Das ist gefährlicher, menschenverachtender Unsinn. Es konstruiert ein Deutsch-Sein, das es so niemals gab.
Gottes gute Schöpfung ist auf Vielfalt angelegt, und in der jü- disch-christlichen Tradition gründet sich, ausgehend von der geschöpflichen Ebenbildlichkeit, der Glaube an eine Gleich- würdigkeit aller Menschen – gerade in ihrer Verschiedenheit. Das Thema der diesjährigen Bonner Buchmesse Migration „Begegnungsräume: für Vielfalt in Demokratie“ erinnert daran, dass Demokratie nicht nur ein politisches System ist, sondern auch eine Haltung und Lebensweise. Sie ist darauf angelegt, dass in ihr Raum für Offenheit, Toleranz und respektvollen Austausch von Meinungen besteht. Eine Gesellschaft, in der wir „ohne Angst verschieden sein“ können (Adorno). Jede Begegnung, jedes Gespräch und jeder Text auf dieser Messe tragen hoffentlich dazu bei, das Fundament unserer offenen, demokratischen Gesellschaft zu stärken und zu festigen. Durch die Vielfalt der hier vertretenen Stimmen und Geschichten wird deutlich, wie reich und plural unsere Gesellschaft ist und wie wichtig es ist, diese Vielfalt zu bewahren. Dazu kann Lesen helfen: Es gefährdet die Dummheit – auch die politische Ignoranz.
Ich danke allen Menschen, die in der Flüchtlings- und Migrationsarbeit durch ihr großes Engagement Begegnungsräume schaffen, in denen Platz für Vielfalt ist und wir so gemeinsam an einer gerechten, offenen Gesellschaft arbeiten können. Allen Besucherinnen und Besuchern der 14. Bonner Buchmesse Migration wünsche ich gute Begegnung, bereichernde Diskussionen und Gottes Segen.
Bleiben Sie behütet und gesegnet, Ihr
Dr. Thorsten Latzel
Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland